Die Vereinten Nationen
Die Völker, die die Exzesse des Zweiten Weltkriegs erlebt hatten, legten 1945, unmittelbar nach Kriegsende, den Grundstein für die Vereinten Nationen. Niemand hat das nicht begrüßt. Später wurde in New York ein Wolkenkratzer errichtet, der dem Gremium als Sitz dient. Wer das Gebäude betritt, stößt — wenn er darauf achtet — auf einen Vers des Propheten Jesaja aus dem Wort Gottes: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Kein Volk wird mehr das Schwert gegen ein anderes erheben, und Krieg werden sie nicht mehr lernen“ (Jes 2,4). Welch schöne Vision, nicht wahr? Wenn auch noch unerfüllt!
Zum sechzigsten Jubiläum lässt sich sagen: Die UN, der die Festigung des Weltfriedens aufgetragen ist, hat viel geleistet. In den Bereichen Gesundheit, Hungerbekämpfung, Bildung, Wissenschaft, Kunst, Archäologie und Antirassismus haben die angeschlossenen Organisationen des Gremiums — wenn auch begrenzt — doch in manchem Lösungen vorbereitet. Dennoch gelingt es nicht, die Kriege zu beenden und vergleichbar große Ziele zu erreichen. Denn der „Teig“, aus dem die UN besteht — das Menschengeschlecht — ist verdorben und schwach. Dazu kursiert eine pointierte Anekdote: Jemand tritt dem anderen auf den Fuß und entschuldigt sich halbherzig; dem Gegenüber genügt das nicht, und der Disput eskaliert zum Handgemenge. Fäuste fliegen, das Publikum schaut zu. Der eigentliche Furunkel hinter den Problemen des Menschen grinst jederzeit: Wegen einer Laus verbrennt man gleich die Matratze! Starrsinn, Egoismus, Eigennutz, Unfähigkeit, Reibereien im Keim zu ersticken — all das treibt in Konflikte.
Trotz ein wenig Harmonie zwischen Völkern, Gesellschaften und Ethnien stehen blutige Taten auf der Tagesordnung. Das Gremium fleht die Weltführer gleichsam an. Doch jeder bläst in sein eigenes Horn; unablässig fließt Blut. In optimistischer Stimmung rief die UN 1995 das „Jahr der Toleranz“ aus. Wer hat wen eigentlich toleriert? Die Komplexität der Lage steht täglich vor Augen. Hoffnungen grünen nicht, sie verwandeln sich in dürre Zweige. Seit 1945 sind ungefähr tausend kleinere und größere regionale Kriege ausgebrochen — und brechen weiter aus. Noch ehe der eine endet, fordert der nächste Millionen von Toten. Vergessen wir nicht die Krankheiten, Hungersnöte und erschütternden Zerstörungen, die die Kriege nach sich ziehen. Der Zwang wächst wuchernd in alle Richtungen: Extremismus, Religiösismus, Gesetzesfanatismus, Blutvergießen, Rassismus, harter Nationalismus, die ständige Unterdrückung der Frauen, die Ausbeutung kleinster Kinder, Terrorismus usw. Während der Ruf nach Frieden, Gleichheit und Gerechtigkeit unüberhörbar ist, stehen die Ketten der Unrechtstaten, genährt vom Egoismus, bereit, ihre Sache fortzusetzen. Individuen und Gesellschaften sind entweder Leidtragende oder Verursacher von Druck.
Das „Jahr der Toleranz“ kam und ging; doch die Intoleranz frisst wie Krebs das ganze Gewebe. Der Mensch erträgt den Menschen nicht. In Familie, Gesellschaft, Nation, Politik, im sektiererischen, hartherzigen Religionswesen, in ethnischen Beziehungen, auf Glaubensebene, zwischen Regionen, in Arbeit und Handel, im Sport — kurz: überall dieselbe Kette von Verwerfungen. Wie schön wäre es, ein Programm oder eine Richtlinie könnte das Böse an der Wurzel ausrotten! Ein leerer Wunsch… Vernunft fordert, den Ursachen der Intoleranz an die Wurzel zu gehen. Wie konnte dieses Krebsgeschwür die Menschheit befallen und zu einer globalen Krise anwachsen?
Die erste Intoleranz der Geschichte erscheint, als Kain Abel tötet. Hier sind die erste Religionsspaltung, der erste Mord und der erste Krieg. Das Wort Gottes lenkt den Denkenden unmittelbar auf dieses Problem: „Lasst uns nicht sein wie Kain, der aus dem Bösen war und seinen Bruder ermordete. Und warum ermordete er ihn? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht“ (1 Joh 3,12). Das verdorbene Gefühl in Kain brach aus jenem sündigen, befleckten Herzen hervor. Die Heilung dieses Übels reicht tiefer als die Ausrufung eines „Jahrs“ oder „Tags“ der Toleranz. Hören wir das göttliche Urteil: „Sie sind angefüllt mit aller Art von Ungerechtigkeit, Bosheit, Habsucht, Schlechtigkeit. Voll Neid, Mord, Streit, Arglist, Niedertracht. Ohrenbläser, Verleumder, Gotteshasser, Freche, Übermütige, Prahler, erfinderisch im Bösen, den Eltern ungehorsam, unverständig, treulos, lieblos, unbarmherzig“ (Röm 1,29–31).
Der gerechte Richter ruft im Heiligen Wort: „Woher kommen die Kämpfe und Streitigkeiten unter euch? Kommen sie nicht von euren Begierden, die in euren Gliedern streiten? Ihr begehrt und habt nicht; ihr mordet und neidet und könnt doch nicht erlangen; ihr streitet und kämpft — ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet. Ihr bittet und bekommt nicht, weil ihr übel bittet, um es in euren Lüsten zu vergeuden“ (Jak 4,1–3). So lenkt das Wort Gottes den Blick auf die Wurzel der Kriege: egoistische Begierden, rasende Taten.
Gewiss sehnt sich jeder nach einem toleranten Miteinander in Familie, Gesellschaft und Welt. Doch unser Geschlecht, fest verschnürt durch die angeborene und erworbene Sünde, vermag echte Toleranz aus Herzensgrund nicht zu leben. Ja, jener hässliche Habitus, der die Toleranz mit Füßen tritt, quillt von innen hervor. Den einen wirklich guten Menschen, der auf die Erde kam, ertrugen die Menschen, die auf der Welle der Eifersucht surften, nicht. Sie packten ihn und nagelten ihn ans Kreuz. Jesus Christus lenkt alle Aufmerksamkeit auf die Kette böser Gedanken, die aus dem Inneren des Menschen kommt und ihn verunreinigt (vgl. Mk 7,20–23; Gal 5,20–21). Das Wort Gottes führt immer wieder hinab in die Labyrinthe des sündigen Herzens: „Alle haben gesündigt und ermangeln der Herrlichkeit Gottes“ (Röm 3,23). Welche Anstrengung könnte solche Verdorbenheit aufhalten, welches Programm sie heilen, welches Toleranzmodell sie verwandeln? Es braucht weit tiefere Eingriffe.
Während die ganze Welt das 60. Jahr der UN feiert, steht vor jedem die Kette von Fragen, die sich Individuen und Völker selbst stellen müssen: Wie steht es um meine Fähigkeit, Menschen auszuhalten, die nicht meiner Nation, meinem Glauben, meiner Sprache angehören? Ertrage ich nicht nur ihre Versammlung, sondern auch, dass sie ihren Glauben frei verbreiten? Bin ich bereit anzuerkennen, dass meine Freiheitsrechte Hand in Hand mit denen meiner Nachbarn gehen? Was ist meine Haltung zu Kindern? Trete ich für Kinderrechte ein? Wie sehe ich ihr Leid, ihre Ausbeutung in zartem Alter — was tue ich zu ihrer Linderung? Was ist — und was sollte sein — meine Haltung zu Frauen? Zähle ich mich zu denen, die Frauen als Menschen zweiter Klasse betrachten und so behandeln? Erkenne ich die Rechte der „schwächeren“ Geschlechtsseite vorbehaltlos als gleichwertig an? Billige ich, dass Frauen unterdrückt, verprügelt und an der Rechtswahrnehmung gehindert werden? Fordere ich Religionsfreiheit für mich, verhindere aber, dass andere ihren Glauben ebenso frei verbreiten, in ihrer Sprache anbeten oder kritisieren?
Und was ist meine Haltung gegenüber Beschäftigten? Sehe ich sie nur als „Arbeitskräfte“ oder als gleichwertige Mitmenschen? (vgl. Kol 4,1). Und die Kehrseite: Wie blickt der Arbeitnehmer auf den Arbeitgeber? Weckt dessen Erfolg, sein Besitz an Arbeit und Macht, in mir Groll, Neid — ja den Drang zu behindern? Solche unschönen Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Sobald von Toleranz die Rede ist, tritt die Mitschuld des Menschen ans Licht; niemand kann sich schuldlos wähnen.
Toleranz bedeutet wörtlich „Fähigkeit, etwas auszuhalten“. Angesichts dieser Einsicht stehen die Fragen, die sich der Einzelne stellen und beantworten sollte, bereits vor uns. Nur Liebe und Mitgefühl sind der Antrieb echter Toleranz. Nicht jede Meinung und Praxis wird unterschiedslos akzeptiert — aber wo Toleranz gefordert ist, entsteht eine Pflicht zur Anwendung. Echte Liebe ist eine Tugend, die aus dem liebenden Christus entspringt. Sie ist kein Niveau, das durch Religion, Bildung oder Demokratie erreicht würde. Versuche einmal, Gesetzesfanatikern den ganzen Tag die Notwendigkeit von Toleranz beizubringen: In ihrem Innern tragen sie Fatwas, die jede Toleranz gegenüber Andersgläubigen und Andersdenkenden verwerfen. Die UN sucht vieles Richtiges — doch die Umsetzung liegt nicht in der Kraft des gefallenen Menschen. Streitende Weltanschauungen reißen alles mit.
Es ist auch hilfreich, Bereiche zu bedenken, in denen Toleranz nicht gilt. Die Natur ist nicht tolerant. Wer ihre Gesetze missachtet, wird bestraft. Wer die Gefahren von Feuer und Wasser ignoriert, kommt übel um. Im Handel führt Regelbruch in den Bankrott. In der Mathematik endet die Missachtung von Konsistenz in falschen Ergebnissen. David war ein Prophet; doch als er nacheinander die Regeln von Anstand, Ethik und Achtung des Lebens brach, trug er schwere Folgen. Religionen mögen gute Ziele haben; lehren sie aber einen unzureichenden Weg zur Vergebung, begegnet der wahre Gott ihnen nicht mit Toleranz. Seine Maßstäbe von Recht und Gerechtigkeit lassen sich nicht weg-tolerieren. Solche Widersprüche springen ins Auge.
Nur Christus kann Intoleranz an der Wurzel heilen: der Sohn Gottes aus der Höhe. Nur gegenüber Sünde und Bösem kennt er keine Toleranz. Darin unterscheidet er sich von allen Menschen; sein Handeln ist einzigartig. Sein unveränderliches Prinzip lautet: „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin … Mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden … Wenn dein Bruder an einem Tag siebenmal gegen dich sündigt und siebenmal zu dir kommt und sagt: ‚Ich bereue‘, sollst du ihm vergeben … Selig sind die Armen im Geist, denn ihrer ist das Himmelreich … Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden … Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander; wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben … Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben hingibt für seine Freunde … Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (vgl. Mt 5–7).
Das Wort Gottes beschreibt eindrücklich, wie die Menschheit geteilt wurde — und wie sie wieder geeint werden wird: „Zu der Zeit des Peleg wurde die Erde verteilt“ (Gen 10,25). Bemerkenswert: Der Name bedeutet „Teilung“. Trotz aller Bemühungen der UN gehen die Spaltungen weiter — ja, sie werden heftiger. Die ganze Welt sehnt sich Tag und Nacht nach dem Kommen des einen Hirten-Königs: „… Sie werden meine Stimme hören; und es wird eine Herde und ein Hirte sein“ (Joh 10,16b). Die Prophetie über die herrliche Wiederkunft des König-Messias ist klar: „Der Wolf wird beim Lamm wohnen, der Panther beim Böcklein lagern. Kalb, Junglöwe und Mastvieh werden beieinander sein, und ein kleiner Knabe wird sie treiben. Kuh und Bärin werden weiden, ihre Jungen liegen beieinander; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Der Säugling wird spielen am Loch der Otter, und das entwöhnte Kind wird seine Hand an die Höhle der Viper legen. Denn die Erde wird voll werden von der Erkenntnis des HERRN, wie das Wasser das Meer bedeckt“ (Jes 11,6–9). Du, dessen Leben durch die Sünde zerrissen ist — sehnst du dich nicht auch nach diesem Retter-König? Willst du nicht sein Jünger sein?
Die Bedeutung, Jesus Christus zu kennen — der nicht nur Intoleranz, sondern jede Reiberei, jeden Konflikt und jede Bluttat an der Wurzel heilt — ist einzigartig. Die vereinten Völker, die er schaffen wird, wird er in Frieden regieren. Seine Art ist unvergleichlich: „Gnade und Friede sei mit euch von Jesus Christus. Der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten und der Fürst der Könige der Erde. Ihm, der uns liebt und uns durch sein Blut von unseren Sünden erlöst hat und uns zu einem Königreich von Priestern für seinen Gott und Vater gemacht hat — ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit! Amen. Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch die, die ihn durchstochen haben; und alle Geschlechter der Erde werden seinetwegen wehklagen. Ja, Amen“ (Offb 1,5–7). Überall auf der Erde erwarten die Jünger Christi diese herrliche Wiederkunft und beten darum. Jeder Sünder möge an diesen Retter glauben — an den König, dessen Kommen nahe ist. Auch du.